Bildung entscheidet über die Zukunft

Vortrag von Lisa Rauber auf der DGIP Jahrestagung in Mainz, Oktober,2016

Bildung entscheidet über die Zukunft

Puente ist ein sogenanntes „Graswurzelprojekt“. Es gibt keinerlei staatliche oder organisatorische Eingriffe von außen.Es geht darum, Kindern und Jugendlichen aus armen Familien zu helfen, eine Berufsausbildung zu erhalten.
Sie leben auf Sand, ohne sanitäre Einrichtungen. Die meisten Mütter sind alleinerziehend und verfügen nicht über die Mittel, die notwendigen Schulutensilien zu kaufen, sodaß die Kinder nicht zur Schule gehen können. (ohne Schuluniform keine Schule, ohne Trainingsanzug kein Sport)
Zur Zeit sind es 50 Kinder und Jugendliche, die solange unterstützt werden bis sie in der Lage sind, ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Das entscheidende ist die Nachhaltigkeit der Unterstützung. Es gibt viele punktuelle Hilfen in Peru, die dann am Ende der Schulzeit oder beim Übergang zur Universität enden. Das Ergebnis ist dann Rückfall in die Armut.
Durch die großzügige Spende eines deutschen Unternehmerehepaares konnten wir eine Art Tagesstätte bauen. Jedes Kind hat einen persönlichen Paten, der monatlich spendet.
Bei den Jugendlichen die an privaten Unis studieren zahlen mehrere Paten für eine Studentin. Persönlicher Kontakt wird auf Wunsch gefördert und Besuche unterstützt.
Unsere Unterstützung beinhaltet gesunde Ernährung, medizinische und psychologische Hilfe.
Unsere Arbeit basiert auf der Vermittlung von Werten. Im Miteinander werden soziale und moralische Fähigkeiten beispielhaft eingeübt, um das Gegeneinander in ein Füreinander umzuwandeln und dadurch ein Gemeinschaftsgefühl entstehen zu lassen. Den kulturellen Errungenschaften des eigenen Landes gilt ebenso die Aufmerksamkeit wie der kritischen Betrachtung des Einflusses von außen.
Diese Aktivitäten steigern sowohl die Fähigkeit zur Verbundenheit als auch der Selbstabgrenzung und erhöhen so das Selbstwertgefühl und dienen der Entwicklung hin zur gereiften Persönlichkeit.
Seit wir mit der Arbeit begonnen haben, versuchen wir reiche Peruaner mit ins Boot zu nehmen, was aber nur sehr langsam gelingt.
Dort gibt es sehr wenig Bewußtsein dafür, daß diese Kinder auch ihre Zukunft sind.
Das Land hat ein gutes Wirtschaftswachstum, was aber nur dazu führt, daß die Schere zwischen arm und reich immer größer wird.
Bisher gibt es nur drei peruanische Paten, die regelmäßig zahlen.

Ich würde gerne auf zwei Thesen näher eingehen

1.Bildung entscheidet über die Zukunft der Menschheit

Den wichtigsten Anfang hier bei uns in Europa hat Martin Luther gesetzt, indem er die lateinische Bibel ins Deutsche übersetzte.
Bis dahin fand Wissenschaft nur in Latein und in elitären Strukturen statt.
Er forderte vehement dem gemeinen Volk das Lesen und Schreiben beizubringen. Dabei half ihm die Entwicklung der Druckerkunst.
Ähnliches spielt sich heute noch in der 3. Welt ab. Viele Menschen in Peru können nicht lesen und schreiben. Sie unterschreiben häufig mit ihrem Fingerabdruck, ohne genau zu verstehen, was sie unterschreiben.
Wenn ein Vater eines unserer Kinder zur Bank geht, erhält er einen Kredit. Es wird ihm erklärt, daß er monatlich nur 200 Soles zurückzahlen müsse. Was er nicht versteht ist wie lange. Wenn wir uns dann die Dokumente ansehen entdecken wir 45 Prozent Zinsen.
Das ist ein Beispiel von Bildung als Macht.
Unsere Jugendlichen gehen auf schlecht ausgestattete Schulen mit Lehrern, die nur Frontalunterricht kennen. Sie haben kaum eine Chance die Aufnahmeprüfung für die staatliche Uni zu bestehen. Deshalb schicken wir sie in teure private Vorbereitungskurse, damit sie eine Chance bekommen.
An der einzigen staatlichen Universität in Trujillo /Peru nehmen jährlich 2000 Abiturienten an der Aufnahmeprüfung teil. 200 werden genommen. Für Medizin gibt es nur 7 Plätze.
Für die reichen Peruaner ist das kein Problem. Es gibt 4 private Universitäten mit leichteren Aufnahmekriterien und so können ihre Kinder das studieren was sie wollen.

2.Bildung fördert die Demokratisierung.

In Peru besteht Wahlpflicht, aber es gibt kaum politische Aufklärung. So besuchen die Politiker die Armenviertel vor der Wahl und machen Versprechungen, verteilen Geschenke und wer am meisten gibt wird gewählt. In unserem Distrikt hat der Bürgermeister vor der Wahl das Wasser abstellen lassen und dann mit Tankwagen als Geschenk mit seinem Konterfei darauf das Wasser verschenkt. Er wurde natürlich wiedergewählt.
Klingholz und Lutz beschreiben in ihrem Buch „Wer überlebt?“2016 S.178), daß erst nach 20 Jahren ein volkswirtschaftlicher Gewinn eines Ausbaues des Bildungssystems nachweisbar ist.
Bildung kommt also immer vor dem Wirtschaftswachstum. Vor allem von gebildeten Frauen profitiert die gesamte Gesellschaft, denn Frauen mit weniger Kindern und besserer Ausbildung gehen häufiger arbeiten und tragen somit zum Familieneinkommen bei. Kinder von gebildeten Müttern haben eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit. In den Ländern in denen die Bildung der Frauen gefördert wurde schreiten die demokratischen Entwicklungen voran, was auch erklärt, warum das in den islamistischen Ländern einfach nicht funktionieren will.
Bei Puente sind die Mädchen in Überzahl. Das Schwierigste für uns ist, sie über die Pubertät hinaus zu bekommen ohne eine Schwangerschaft. Es gibt kaum Sexualkundeunterricht, denn dazu braucht man die Zustimmung der Eltern. Obwohl Lateinamerika sehr sexualisiert ist, spricht man halt nicht darüber.
Das ist ein so heikles Thema, daß wir das den Peruanern überlassen müssen, um nicht in alte koloniale Strukturen zurück zu fallen. Zu Zeiten von Präsident Fujimori gab es Sterilisierungen gegen den Willen der Frauen und als ich vor 35 Jahren in Peru gearbeitet habe, haben amerikanische Konzerne angeblich gegen Masern geimpft. In Wirklichkeit handelte es sich um Dreimonatsspritzen.
Bei Puente reden wir über das Thema mit der entsprechenden Feinfühligkeit und sind damit einigermaßen erfolgreich.
Ein sehr häufiges Phänomen ist die schwierige Situation der ersten unehelichen Kinder, die die Mütter im Alter von 15, 16 Jahren zur Welt bringen. Sie haben später in der Geschwisterreihe die ungünstigste Position und werden von den nächsten Partnern abgelehnt, wie ich Ihnen gleich am Beispiel von Stalin, einem 17jährigen Jungen, erörtern werde.

Der ecuadorianische Ökonom Alberto Acosta beschreibt in seinem Buch „Buen Vivir“ (2015) das Recht auf ein gutes Leben, was auch in der Verfassung des Landes verankert ist. Er entwickelt ein Konzept für die Diskussion einer Transformation hin zu sozialer Gerechtigkeit und ökologisch nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen.
Das „Gute Leben“ und die Formen des guten Zusammenlebens bieten die Chance für den Aufbau einer anderen Welt als die die wir heute kennen. (Acosta S.10)
Wir von Puente hoffen, einen kleinen Teil zu dieser Zukunft beitragen zu können und sind der Meinung, daß wer teilt, mehr vom Leben hat.

Quellen:
Klingholz, Reiner und Wolfgang Lutz „Wer überlebt? Campus Verlag  Frankfurt 2016

Alberto Acosta Buen Vivir Oekom Verlag München 2015